Neue Schwerpunkte für die Entwicklung von Benutzerschnittstellen und Betriebssystemen (Teil 2) User Interfaces 

Neue Schwerpunkte für die Entwicklung von Benutzerschnittstellen und Betriebssystemen (Teil 2)

Immer mehr Apps und Betriebssysteme lassen sich per Sprachsteuerung bedienen. Ich frage mich, welche Auswirkungen dieser Trend auf die Gestaltung grafischer Benutzeroberflächen haben könnte? Werden noch komplexe Menüs und Toolbars gebraucht, in denen alle verfügbaren Befehle aufgelistet sind? Ich könnte mir vorstellen, dass grafische Oberflächen in Zukunft hauptsächlich der Datenpräsentation dienen werden, während die grafische Befehlspräsentation, wie wir sie heute kennen, verkümmern bzw. auf ein Minimum reduziert werden wird!

Wie ich bereits im Fazit des ersten Teils dieses Artikels verdeutlicht habe, sollte die Gestaltung der Benutzerschnittstelle nicht von Trends, sondern von den Erfordernissen der Anwendungsdomäne abhängig sein. Trotzdem ändern sich im Laufe der Zeit immer wieder die vorherrschenden Paradigmen, weil es die technischen Entwicklungen ermöglichen, Probleme aus neuen Perspektiven zu betrachten und zu lösen. Mit meiner versuchten Zukunftsprognose möchte ich neue Perspektiven auf die Gestaltung von Benutzerschnittstellen und Betriebssystemen erkunden.

Aus Sicht eines Anwenders besteht eine Software im Wesentlichen aus Daten und Befehlen zur Verarbeitung dieser Daten. Bei einem Bildbearbeitungsprogramm sind die Daten das geöffnete Foto und die Befehle die verfügbaren Menüoptionen (z.B. “Kontrastverbesserung”, “Entsättigen”, “Einfärben”). Eine Benutzerschnittstelle ist dadurch charakterisiert, ob und in welcher Weise Daten und Befehle grafisch präsentiert werden:

  • Kommandozeilenschnittstelle: In den meisten Fällen werden weder Daten noch Befehle direkt präsentiert.
  • grafische Benutzerschnittstelle: Sowohl Daten, als auch Befehle werden grafisch präsentiert.
  • kognitive Benutzerschnittstelle: Daten werden grafisch präsentiert. Auf die grafische Präsentation von Befehlen kann u.U. verzichtet werden, wenn das Programm vorrangig über Gesten oder natürliche Sprache (eingegeben über Mikrofon oder ein Chat-Fenster) gesteuert wird.

 
Moderne Benutzerschnittstellen könnten damit einem Trend folgen, der bereits beim Design von Webseiten beobachtet werden kann: Das moderne Design ist minimalistisch, ohne Ablenkung, Spielereien und Effekthascherei, aber dafür ganz auf eine benutzerfreundliche Aufbereitung des Inhalts fokussiert. Daten und Inhalt entsprechen einander, wodurch das minimalistische Design auch auf Software im Allgemeinen übertragen werden kann. Dies führt zu Programmen, die sich nicht durch eine schicke optische Präsentation ihrer Funktionalität auszeichnen, sondern allein durch die Qualität der Daten aufgrund der Anwendung dieser Funktionalität. In diesem Sinne grenzen sich z.B. minimalistische Bildbearbeitungsprogramme nicht durch ihre Oberfläche, sondern durch die Qualität der Bildoptimierung voneinander ab.
 

Vision: Das datenorientierte Betriebssystem

Die Entscheidung, ob und wie Befehle präsentiert werden, könnte in Zukunft nicht mehr vom Programm selbst vorgenommen, sondern dem Betriebssystem überlassen werden. Die Programme müssten dazu über Schnittstellen verfügen, über die das Betriebssystem die bereitgestellte Funktionalität abrufen kann. Daraus könnte ein datenorientiertes Betriebssystem entstehen, welches dem Anwender nicht mehr unterschiedliche Programme, sondern nur noch Daten mit unterschiedlichen Datentypen präsentiert. Folgendes Szenario wäre dann denkbar:

  1. Der Anwender wählt aus, mit welchen Daten er arbeiten möchte.
  2. Das Betriebssystem aggregiert die für den Datentyp verfügbaren Befehle aus den installierten Programmen.
  3. Das Betriebssystem stellt eine (kognitive) Benutzerschnittstelle bereit, mit der die verfügbaren Befehle genutzt werden können. Welches Programm welche Funktionalität zu dieser Schnittstelle beisteuert, ist für den Anwender u.U. nicht erkennbar.

Die Grenzen zwischen den Programmen würden dabei verschwinden. Der Anwender müsste nicht mehr ein- und dasselbe Dokument in verschiedenen Programmen öffnen und zwischenspeichern, um alle Bearbeitungsschritte auszuführen. Durch die vom Betriebssystem vereinheitlichte Befehlspräsentation wäre die Bedienung von Programmen eventuell nutzerfreundlicher und leichter erlernbar. Von Vorteil wären einheitliche Datenformate, die von allen Programmen zur Verarbeitung eines Datentyps gemeinsam genutzt würden.

Eine kleine Geschichte soll weitere Gedanken zu diesem Konzept aufwerfen:

Lisa schreibt an einer Belegarbeit für das Studium. Sie legt ein neues Dokument an und teilt dem Betriebssystem mit, dass die Bearbeitungsoptionen für den Datentyp “Text” bereitgestellt werden sollen. Das Betriebssystem zeigt eine Menüoberfläche mit elementaren Textbearbeitungsfunktionen vom Program “XYZ” an. Lisa schreibt einigen Text und fügt dem Dokument anschließend ein Bild zu. Das Betriebssystem stellt nun zusätzlich auch die Bearbeitungsoptionen für den Datentyp “Bild” bereit, die aus drei verschiedenen Programmen aggregiert wurden. Nach der Bildoptimierung, die sie per Sprachsteuerung vorgenommen hat, ergänzt Lisa weiteren Text und speichert das Dokument anschließend.

Die Geschichte zeigt, dass zusätzlich zu einzelnen Datenobjekten (wie z.B. Bilder) evtl. das Konzept von Dokumenten benötigt wird, die Daten von verschiedenen Datentypen zusammenfassen. Die Vorgänge zum Öffnen und Speichern von Dokumenten wären eine Angelegenheit des Betriebssystems. Des Weiteren hätte das Betriebssystem die Aufgabe, alle Programme zu koordinieren, die an der Bearbeitung der im Dokument enthaltenen Daten beteiligt sind.

Je länger ich über die Umsetzung nachdenke, desto mehr unbeantwortete Fragen tauchen auf 🙂 . Den Gedankenspielen möchte ich daher erstmal ein Ende setzen. Vielleicht komme ich noch einmal darauf zurück oder erfahre in naher oder ferner Zukunft von ähnlichen Ansätzen!

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